Wie lange halten wir Stand?

„Der Achse wird mancher Stoß versetzt, sie rührt sich nicht – und bricht zuletzt.“ ( Johann Wolfgang von Goethe)

 

Was wollte Goethe seinen Mitmenschen mit diesem in „Gedichte. Ausgabe letzter Hand. 1927“ veröffentlichten Gedicht sagen? Ich weiß es natürlich nicht, interpretiere jedoch hinein, dass auch die damalige Zeit große Anforderungen an die damals lebenden Menschen gestellt hat.

 

Was könnten uns diese Zeilen in Bezug auf unsere heutige Zeit aufzeigen?

Vielleicht, dass unser menschlicher Körper eine ziemlich geniale physische Konstruktion mit außerordentlicher Stabilität ist. Es ist schier unglaublich, welche Kräfte auf ihn einwirken, die vor allem in Extremsituationen gern als „unmenschlich“ bezeichnet werden.

Wir alle kennen Geschichten von Menschen, die in der größten Not und Gefahr für´s eigene Leben noch Wunder vollbracht haben und beispielsweise die Leben anderer gerettet haben. Hier werden Kräfte freigesetzt, die im Alltag durch unseren Verstand begrenzt werden.

 

Zum Glück nur selten extreme Belastungen

Zum Glück kommen solche Situationen nur selten und ausnahmsweise vor, denn unser Körper ist nicht dauerhaft für extreme Belastungen ausgelegt. Vielmehr ist er für ein langes Leben mit relativ gleichbleibenden Bedingungen konzipiert. Nun hält aber das Leben für jeden von uns unterschiedlichste Herausforderungen bereit, die sich auch in stetigem Druck und / oder Zug äußern können.

Oft entstehen diese Kräfte durch die eigenen Erwartungen, die wir an uns haben oder durch die, von denen wir glauben, dass sie andere an uns haben. Der Chef, die Partnerin, Vater und Mutter oder die Gesellschaft im Allgemeinen.

 

Stabilität eine Kombination aus Physis und Psyche

Hier ist schon deutlich zu erkennen, dass die Stabilität der Achse, also unseres physischen Körpers, nur ein Teilaspekt unserer Standhaftigkeit ist. Je nach Art, Dauer und / oder Intensität der Herausforderung bekommt auch unsere Psyche immer mehr Druck und Zug ab. Hier ist es jedoch eher die Flexibilität, die diesen Wechsel der Kräfte und die zusätzlichen Schläge ausgleicht. Vergleichbar mit Stoßdämpfern, die dafür sorgen, dass die Achse nicht die volle Wucht der Stöße abbekommt.

Diese Kräfte wirken permanent auf unser System und dieses kann, wie schon beschrieben, unwahrscheinlich viel absorbieren.

 

Wie lange halten wir Stand?

Doch irgendwann, möglicherweise durch diesen einen Stoß im vermeintlich falschen Moment, kann diese wunderbare Schöpfung nicht mehr alle Energie ableiten. Dieser Augenblick kann völlig unbemerkt vonstatten gehen oder mit einem körperlichen Hinweis, z.B. einem Beinbruch bei einer gar nicht so ungewöhnlichen Bewegung. Oft, und im besten Fall, bringen solche physischen Verletzungen die betroffenen Menschen zu einem Umdenken und / oder eine andere, achtsamere Sicht auf ihr bisheriges Leben. Bei anderen wiederum büßt die Psyche an Flexibilität ein und es beginnt ein eher schleichender Prozess, der im Außen, also auf körperlicher Ebene erst viel später wahrgenommen wird.

 

Festigkeit und Flexibilität lassen nach

So kann es sein, dass bestimmte Anforderungen, die bisher scheinbar kein Problem darstellten, nur noch mit Zuhilfenahme von Medikamenten oder bewusstseinsverändernden Substanzen bewältigt werden können. So kann unser System, diese Kombination aus Festigkeit und Flexibilität, noch eine ganze Weile funktionieren. Langsam kommen dann die ersten spürbaren Schläge an, die sich auf die unterschiedlichsten Arten in Form von Symptomen bemerkbar machen können. Das sind dann in der Regel körperliche und psychische gleichzeitig.

Fatal daran ist, dass beide Bereiche den jeweils anderen immer mehr schwächen. So wirken sich körperliche Gebrechen unterschiedlich stark, in negativer Hinsicht, auf die psychische Verfassung eines früher gesunden bzw. gesünderen Menschen aus. Andersherum wirkt sich eine weniger stark belastbare Psyche negativ auf die physische Verfassung aus.

 

Werden Sie aktiv

Sollte hier nicht aktiv, und zwar je früher desto besser, eingegriffen werden, dann kommt es eben zum beschriebenen Bruch.

Vielleicht war es genau das, worauf Johann Wolfgang von Goethe seine Mitmenschen aufmerksam machen wollte. Darauf, dass auch all die Belastungen, die nicht zum Bruch besagter Achse führen, nicht unterschätzt werden sollten.

Ich bin überzeugt davon, dass es genau darum ging.

 

Haben Sie Mut!

Es bedarf einer gehörigen Portion Mut, anzuerkennen, dass wir Menschen zwar eine starke und stabile Schöpfung sind, aber alles seine Grenzen hat und es wenig Sinn macht, den berühmt berüchtigten Bogen dermaßen zu überspannen, bis er bricht.

Ich wünsche Ihnen genau diesen Mut.